11.2020
Dezemberausgabe
DAB Interview

„Die Botschaft lautet: Wir stehen gut da!“

Wolfgang Riehle, Vorsitzender des Verwaltungsrates des Versorgungswerks der Architektenkammer Baden-Württemberg, und Sven Röckle, VwdA-Hauptgeschäftsführer, im Gespräch über die notwendige Absenkung des Verrentungszinses auf 2,5 Prozent und Ehrlichkeit in der Prognose

 

Frage: Herr Riehle, 50 Jahre Versorgungswerk der AKBW. Wie ist die Feierlaune?

Wolfgang Riehle: Wir sind stolz auf unsere Erfolgsgeschichte. Das Versorgungswerk der Architektenkammer Baden-Württemberg ist nicht nur das älteste Versorgungswerk für Architekten in Deutschland, es hat sich auch bis heute tadellos gehalten. Wir haben in den fünf Jahrzehnten unseren Mitgliedern eine sehr stabile Altersversorgung zukommen lassen. Allerdings muss ich zugeben, dass 2020 ein weniger geeignetes Jubiläumsjahr ist: Die Corona-Pandemie ließ unser geplantes Fest ausfallen und auf der Tagesordnung steht eine Absenkung der Verrentungssätze aufgrund der sich verfestigenden Nullzinsphase. Man kann sich seinen Geburtstag nicht raussuchen.

 

Frage: Damit reiht sich das Versorgungswerk ein in den allgemeinen Trend. Andere Versorgungswerke sind ähnliche Schritte schon im Zuge der Finanzkrise 2008 gegangen. Was war ausschlaggebend?

Riehle: Ich muss mich da auch auf die Fachleute verlassen. Aber natürlich spielt Corona auch ein Stück weit hinein: Die Pandemie brachte noch einmal eine Verschärfung der Lage. Deshalb sind wir gezwungen zu handeln.

Röckle: Das Versorgungswerk als kapitalgedecktes System ist darauf angewiesen, dass der Kapitalmarkt konstant liefert. Es ist kein losgelöstes Universum. In Null- bzw. Negativzinsphasen wird es sehr schwer, stabile und damit kalkulierbare Zuwächse zu erwirtschaften. Unsere Anlagestrategie ist (von Gesetzes wegen) eher konservativ, weil wir Sicherheit und Kontinuität gewährleisten müssen. Doch ganz ohne Zinsen und nachhaltiges Wirtschaftswachstum geht es nicht. Die Corona-Krise verstärkte eine bereits stagnierende Entwicklung am Kapitalmarkt.

 

Frage: Die letzte Absenkung des Verrentungszinses war im Jahr 2018. Damals wurde von 4 auf 3,5 Prozent abgesenkt, nun erneut um einen Prozentpunkt. Zwei Korrekturen in so kurzer Frist, das dürfte auf wenig Verständnis stoßen?

WR: Das ist uns bewusst. Wir muten den Mitgliedern einen schweren Einschnitt zu. Rund 24 Prozent weniger Erwartungswert über alle Alterskohorten, das ist spürbar. Vergessen Sie dabei nicht, dass alle bisher bestehenden Anwartschaften auch in der Zukunft höher verzinst werden. So ungern ich das Wort verwende: Die Absenkung ist alternativlos. Wir leben in ungewissen Zeiten und wir haben die Verpflichtung, auf veränderte Rahmenbedingungen zu reagieren. Unsere Botschaft in Niedrig- oder Nullzinsphasen lautet aber voller Überzeugung: „Wir stehen gut da!“ Unsere Mitglieder stellen sich erheblich besser als bei vielen anderen Altersvorsorgeformen.

Röckle: Für eine dauerhafte Niedrigzinsphase sind die vorhandenen Rechnungsgrundlagen nicht ausgelegt. 2017 hatten die Gremien des Versorgungswerks noch auf Basis eines vorübergehenden durchschnittlichen Kapitalmarktzinsniveaus von über 2 % entschieden und sind nicht von einer langen Phase Null- oder gar Negativzinsen ausgegangen. Dann kam jetzt zusätzlich die zu erwartende Abflachung anderer sogenannter „ordentlicher Erträge“ wie Dividenden und Mieten durch Covid-19. Dadurch muss der Versicherungstechnische Geschäftsplan überwiegend durch Beteiligungserträge und Spekulationsgewinne nachhaltig finanziert werden. Diese sogenannten „außerordentlichen Erträge“ sind zwar Teil der Gesamtperformance, ihrer Natur nach aber keine verlässliche Kalkulationsgröße.

 

Frage: Was wäre die Alternative zur Absenkung des Verrentungszinses?

WR: Die Alternative wären höhere Beiträge für dieselbe Leistung oder eine Kürzung bereits erworbener Anwartschaften und Renten. Das wäre unumgänglich, deshalb haben wir diesen mittleren Weg vorgeschlagen, der eine Art Generationenausgleich vorsieht.

Frage: Das Versorgungswerk wird in Umfragen der Architektenkammer ganz vorn genannt, wenn nach dem Grund für einen Kammereintritt gefragt wird. Wird das Versorgungswerk unattraktiver?

WR: Nein. Ich sage das nicht, weil ich es sagen muss. Ich betone es ausdrücklich, weil es stimmt. Im Vergleich stehen wir noch immer hervorragend da. Verändern sich zudem die Kapitalmarktverhältnisse, sind es die jüngeren Mitglieder, die davon zuerst wieder profitieren während Rentnerinnen und Rentner schon heute auf eine Leistungsanhebung verzichten müssen. Wir waren uns in den verantwortlichen Gremien einig, nichts versprechen zu wollen, was wir nicht auch halten können. Das ist ein Gebot der Fairness.

Röckle: Ich will einen anderen Aspekt einbringen. Die Absenkung der Verrentungssätze spiegelt die heutige Realität wider. Wir haben keine Umlagefinanzierung, sondern jede Einzahlerin und jeder Einzahler wird gesondert betrachtet. Diese Absenkung auf 2,5 Prozent ist daher auch eine Weichenstellung in die Zukunft. Sie verleiht uns im Rahmen der Kapitalanlage eine höhere Risikotragfähigkeit und steigert dadurch die Chancen auf höhere Renditen im Zeitablauf.

 

Frage: Herr Röckle, was wären grundsätzliche alternative Möglichkeiten zu Ihrem Kapitaldeckungssystem?

Röckle: Es gibt grundsätzlich verschiedene Finanzierungsmethoden: das offene und das geschlossene Deckungsplanverfahren. Die meisten Versorgungswerke sind nach dem offenen Deckungsplanverfahren organisiert, also einem Mix aus Elementen der Kapitaldeckung und des Umlageverfahrens. Sie arbeiten häufig mit der Variablen der Neuzugänge und müssen diese auch bekommen, damit der zu Grunde gelegte Zinssatz erwirtschaftet werden kann.

 

Frage: Wird im Versorgungswerk auch darüber diskutiert, in ein Deckungsplanverfahren zu wechseln?

Wolfgang Riehle: Sollte sich die aktuelle Kapitalmarktsituation weiter verschlechtern oder als dauerhafter Zustand herausstellen, dann wäre ein Wechsel des Finanzierungsverfahrens eine echte Option. Denn die schlichte Wahrheit ist: Ohne Kapitalmarkterträge keine Kapitaldeckung. Man könnte auch sagen: Selbst wir schaffen es nicht, aus Stroh Gold zu spinnen!

 

Biografien

Wolfgang Riehle

Der Freie Architekt und Stadtplaner aus Reutlingen, Jahrgang 1953, ist seit 1.1.2020 Vorsitzender des Verwaltungsrates. Von 1998 bis 2014 war er Präsident der Architektenkammer Baden-Württemberg, deren Ehrenvorsitzender er heute ist. 2018 schied er als Geschäftsführer und Gesellschafter bei Riehle+Assoziierte, Architekten und Generalplaner, aus. Seine Aufgabe an der ehrenamtlichen Spitze des Versorgungswerkes startete Wolfgang Riehle unter besonders herausfordernden Rahmenbedingungen.

 

Sven Röckle

Im Hauptamt des Versorgungswerkes arbeiten rund 30 Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter. 2017 übernahm der gelernte Bankkaufmann und studierte Ökonom Sven Röckle, Jahrgang 1972, zuvor Leiter Rechnungswesen, den Geschäftsführungsbereich „Finanzen“ beim Versorgungswerk. Seit Januar 2018 ist Sven Röckle als Hauptgeschäftsführer tätig.